Mittwoch, 28. Januar 2015

Die letzten fünf Monate


„Was? Du arbeitest in der Psychiatrie?“ - ist eine Frage, die mir Freunde und Bekannte in den letzten 4 Monaten häufig gestellt haben. Manchmal entsetzt, oft respektvoll, aber immer interessiert.
'Und ist es da so wie in den Filmen? 'Shutter Island', mit Leonardo DiCaprio. Den kennt man doch!“
Als ich diesen Vergleich das erste Mal hörte, musste ich schlucken. Ich dachte an meine Vorstellungen vor 5 Monaten. Als klar wurde, dass ich ab dem 1. August 2014 mein Freiwilliges Soziales Jahr im St.- Vinzenz-Hospital in Rhede beginnen werde, machte auch ich mir meine ganz persönlichen Gedanken vom Alltag in einer Psychiatrie. Meine Vorstellungen waren, um ehrlich zu sein, auch teilweise „so wie in den Filmen“. Es ist nun auch leider immer noch so, dass Psychiatrien bei vielen einen leicht bitteren Nebengeschmack haben. Dennoch wusste ich auch, dass Depressionen, Halluzinationen und Psychosen keine Krankheiten sind, die wie in Filmen nach 120 Minuten wieder vorüber sind.
Ich war mir von Anfang an bewusst, dass diese Krankheiten schwerwiegend sind und den Menschen, die daran leiden, das Leben für eine gewisse Zeit zur Hölle machen.
Heute, nach fünf Monaten, reagiere ich fast schon wütend auf diese Aussage. Die Menschen in meinem Umfeld wissen, dass ein Job in der Psychiatrie kein einfacher ist, aber dennoch denken manche, dass es dort „wie im Film“ und „eigentlich doch ganz witzig“ ist. Es erschreckt mich, dass es in der heutigen Zeit immer noch Menschen gibt, die eine so unrealistische Vorstellung von dem Alltag in einer Psychiatrie haben.
Natürlich kann es an manchen Tagen witzig werden, wenn einem Patienten ans Herz gewachsen sind und man sieht wie es ihnen von Tag zu Tag besser geht oder sie ganz schlicht und einfach mal einen guten Moment erwischt haben. Ich habe schnell ein Gefühl dafür entwickelt, wie ich mit den Patienten umgehen kann. Mal ernst, mal mit etwas Witz und Humor, aber auch einfach mal ganz normal - als hätte ich einen langjährigen Nachbarn beim Einkaufen getroffen.
Ich weiß, dass ich kein Therapeut oder Psychologe bin und manche Dinge nicht immer ganz professionell angehe, aber ich habe gemerkt, wie froh es die Menschen macht, wenn jemand mal nicht über ihre Krankheit spricht, sondern einfach übers vergangene Weihnachtsfest, den Job oder wie lecker doch heute das Mittagessen war. Jeder einzelne der Patienten ist auf seine ganz individuelle Weise in seine Gedanken verstrickt und hat Probleme von selber dort hinaus zu finden. Da sind viele über jede Ablenkung sehr froh.
          Ich habe begonnen diesen Blog zu schreiben, um mit Euch meine Erfahrungen zu teilen und Licht ins Dunkle zu bringen...Wie ich erwähnte, ist das Bild von Psychiatrien bei vielen Menschen noch immer mit negativen Gedanken behaftet – Klapse, Irrenhaus, Irrenanstalt - das sind nur einige der Synonyme, die in der Gesellschaft des Öfteren Gebrauch finden. Das Video aus meinem letzten Post ist dafür ein gutes Beispiel.
Ich habe in den letzten fünf Monaten die Erfahrung gemacht, dass es von Patient zu Patient unterschiedlich ist, wie er oder sie mit der Erkrankung umgeht. Natürlich ist es nachvollziehbar, dass niemand gerne über die Krankheit redet, denn sie ist immer auch eine körperliche, seelische und soziale Belastung. Vor allem der Teil der sozialen Belastung, spielt im Leben der erkrankten Personen eine große Rolle. Viele ziehen sich mit der Zeit zurück und verstecken sich hinter ihrer Erkrankung.
Auch wenn die Behandlungen und Aufenthalte in Psychiatrischen Kliniken oft verschwiegen oder gar nicht erst in Anspruch genommen werden, sind sie dennoch eine riesengroße Stütze für die Betroffenen.
Ich möchte mit meinen folgenden Blogeinträgen aus dem alltäglichen Leben in meiner Einsatzstelle berichten. Da das Wort Schweigepflicht in der Psychiatrie eine große Rolle spielt, werde ich probieren, ein gesundes Maß zu finden, um informative Beiträge für Euch zu schreiben.

Wie ich schon erwähnte, arbeite ich in einem Zentrum für seelische Gesundheit.
Unsere Klinik besteht aus vier offenen Stationen und einer geschützten Station. Hinzu kommt die Privatstation, welche im Frühjahr eröffnet wird. Vor der Klinik befindet sich im übrigen die Ergotherapie, dessen Angebote einen großen Teil der Therapie ausmacht, und die Tagesklinik. Hier finden bereits stationär entlassene Patienten Anbindung, um dort mit verschiedenen Aktivitäten ihren Alltag individuell gestalten zu können.
Mein Arbeitsalltag findet auf einer offen geführten allgemeinpsychiatrischen Station statt. Es werden Patienten ab dem 18. Lebensjahr behandelt. Die Aufgabe unserer Therapeuten, Ärzte, Pflegekräfte und Psychologen ist es, die psychopathologische Symptomatik, sprich die psychischen Erkrankungen der Patienten, zu vermindern, die Verantwortungsfähigkeit und Krankheitseinsicht der Patienten zu fördern.
Es geht darum, die Patienten wieder so ins Leben einzugliedern, dass sie in der Lage sind, ohne Angst oder Isolation mit dem alltäglichen Leben zurechtzukommen.
Man kann es gut mit einer Fahrschule vergleichen. Der Fahrlehrer bereitet dich auf die grundlegenden Dinge im Straßenverkehr vor. Alleine fahren und das richtige Umgehen in Gefahrensituationen lernst du jedoch erst nach der Fahrschule. Die Patienten bei uns werden auch auf ihr alltägliches Leben vorbereitet - das Umgehen mit Angst, das richtige Einnehmen von den Medikamenten et cetera. Die (Fahr)Praxis folgt jedoch erst nach der Entlassung.

Meine Aufgaben bestehen darin, die Patienten morgens zu wecken, sie zu verschiedenen Untersuchungen zu begleiten oder mich einfach in einer ruhigen Minute zu ihnen zu setzen und mich mit ihnen zu unterhalten.
Wie ich schon erwähnte, habe ich schnell ein Gefühl dafür entwickelt, wie ich mit welchen Patienten umgehen kann.
Dennoch habe ich auch gemerkt, dass man oft über seinen Schatten springen muss. Ich war nie jemand, der sich in jede neue Situation schnell und gut einfügen kann. Ich brauche meine Zeit. In diesem Job ist das jedoch nicht immer möglich. Oft muss man schnell entscheiden, auch mal aus dem Bauch heraus Tipps geben und in Situation hilfsbereit sein, in denen man vor lauter Stress nicht weiß wo einem der Kopf steht.
Aber es gibt auch besinnliche und ruhige Momente. Die Vorweihnachtszeit war eine davon.
Nicht jeder freut sich auf Weihnachten, das ist nun einmal so und irgendwie auch normal. Aber ich habe mich auf Weihnachten gefreut und so habe ich angefangen, die Station zu schmücken, nachmittags Weihnachtslieder zu trällern und Plätzchen zu backen. Die Patienten, die Lust auf so etwas hatten, waren immer herzlich willkommen und nahmen die Angebote oft freudig in Anspruch. Wie gesagt – Ablenkung ist für die meisten Patienten eine gute Unterstützung zur Therapie.

Aber gerade die Weihnachtszeit ist oft eine der schwersten Zeit für die Patienten. Viele sind mit ihren Familien im Streit oder haben keine mehr. Dieses Jahr verlief es auf unserer Station aber, so wie ich das für mich empfand, ziemlich gut.
Die Patienten, die über Weihnachten auf der Station waren, waren froh über die Ruhe, den frisch geschmückten Tannenbaum und das leckere Essen. Für meine Mühen in der Vorweihnachtszeit hab ich oft Lob von den Patienten bekommen. Das kommt meist unerwartet und somit freut man sich noch mehr. Mir macht es Spaß Freude zu schenken, vor allem wenn ich merke, dass sie wirklich von Herzen kommt. Alles in allem ein gelungenes Fest, auch wenn es nicht, wie bei mir, mit den Liebsten war.
Jetzt geht es jedoch frohen Mutes in das neue Jahr und für meinen ersten Eintrag soll es bis hier als Einleitung genügen.


„Und du kriegst, was du gibst, wenn du tust, was du liebst.“

Drei aus deiner Klasse...

 
Wieso "Drei aus deiner Klasse..."? Zunächst solltest du dir dafür das verlinkte Video der Organisation "Time to Change" anschauen.
In diesem Beitrag geht es um eine alltägliche Szene in einem Klassenraum. Ein Schüler kommt zu spät, der Lehrer reagiert genervt und die Mitschüler machen flapsige Bemerkungen. Doch dann geschieht etwas, mit dem keiner der dort Anwesenden gerechnet hat...
 
Er stellt sich auf seinen Stuhl, beleidigt den Lehrer und macht die ganze Klasse sprachlos:

 
http://www.huffingtonpost.de/2015/01/25/junge-beleidigt-lehrer-macht-klasse-sprachlos_n_6542034.html
 
Quelle: Huffington Post
             YouTube: Time to Change, The stand up kid

Der Sinn hinter dieser Kampagne - "The stand up kid" - soll der sein, dass immer noch viele Menschen unaufgeklärt über psychische Krankheiten sind. Mittlerweile leiden durchschnittlich drei Schüler einer Klasse an einer psychischen Störung oder werden einmal daran leiden.
Depressionen sind oft näher als man denkt und betreffen Menschen jeden Alters. Man ertappt sich immer wieder dabei, wie man zu schnell urteilt. Dabei ist es auf den zweiten Blick manchmal gar nicht so wie man zuerst vermutete...